Die Energiewende markiert einen fundamentalen Wendepunkt in der Geschichte der Menschheit. Im Jahr 1993 prognostizierten deutsche Stromversorger, dass erneuerbare Energieträger niemals mehr als vier Prozent des deutschen Strombedarfs decken könnten. Heute, drei Jahrzehnte später, liefern Erneuerbare bereits über 40 Prozent – eine Verzehnfachung der ursprünglichen Einschätzung. Diese bemerkenswerte Entwicklung unterstreicht das immense Potenzial regenerativer Energiequellen im Kampf gegen den Klimawandel. Der Energiesektor spielt dabei eine Schlüsselrolle, denn nur durch seine vollständige Dekarbonisierung kann Klimaneutralität in allen anderen Wirtschaftsbereichen erreicht werden.

Die Herausforderungen sind gewaltig: Nicht nur müssen bestehende fossile Kapazitäten ersetzt werden, sondern es bedarf zusätzlicher Erzeugungskapazitäten für Sektoren wie Verkehr und Industrie. Das übergeordnete Ziel ist klar definiert: eine zu 100 Prozent erneuerbare Energieversorgung bis spätestens 2045. Diese Transformation bringt tiefgreifende technologische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen mit sich – und eröffnet gleichzeitig enorme Chancen für Innovation, Wertschöpfung und Klimaschutz.

Technologische Entwicklung erneuerbarer Energien seit dem Kyoto-Protokoll

Seit der Unterzeichnung des Kyoto-Protokolls 1997 hat der Sektor der erneuerbaren Energien eine beeindruckende technologische Evolution durchlaufen. Was damals als ambitioniertes Experiment begann, hat sich zu einem ausgereiften Industriezweig entwickelt, der weltweit dynamisch wächst. Deutsche Unternehmen spielen dabei eine führende Rolle, da sie über jahrzehntelange Erfahrung, technologische Expertise und innovative Ansätze verfügen. Ihre wegweisenden Technologien nehmen heute eine Schlüsselposition bei der globalen Energiewende ein.

Die weltweiten Investitionen in die Energiewende beliefen sich im Jahr 2023 auf beachtliche 1,8 Billionen US-Dollar – ein Anstieg von 17 Prozent gegenüber dem Vorjahr und ein neuer Rekord. Prognosen deuten darauf hin, dass der globale Markt für Erneuerbare bis 2030 ein Volumen von über zwei Billionen US-Dollar erreichen wird. Diese Zahlen unterstreichen das immense Potenzial für Innovation und Exportchancen in diesem Sektor.

Bemerkenswert ist auch der Wandel in der öffentlichen und politischen Wahrnehmung: Von anfänglicher Skepsis hin zu breiter Akzeptanz und aktiver Förderung. Die G7-Staaten haben sich klar zur Dekarbonisierung des globalen Energiesystems bekannt – ein Signal, dass die Energiewende nun auch auf höchster internationaler politischer Ebene verankert ist.

Photovoltaik: Von monokristallinen zu Perowskit-Solarzellen

Die Photovoltaik hat in den vergangenen Jahrzehnten eine regelrechte Revolution erlebt. Die ersten kommerziellen Solarzellen basierten auf monokristallinem Silizium mit Wirkungsgraden von etwa 15 Prozent. Heute erreichen moderne multikristalline Module im industriellen Maßstab bereits Effizienzen von über 22 Prozent. Diese Steigerung mag auf den ersten Blick bescheiden erscheinen, bedeutet jedoch eine erhebliche Verbesserung der Flächeneffizienz und Wirtschaftlichkeit.

Die jüngste Innovation im Bereich der Solartechnologie sind Perowskit-Solarzellen. Diese neuartige Technologie verspricht nicht nur höhere Wirkungsgrade von theoretisch über 30 Prozent, sondern auch deutlich geringere Produktionskosten. Im Labormaßstab wurden bereits Tandem-Solarzellen aus Perowskit und Silizium entwickelt, die Wirkungsgrade von über 29 Prozent erreichen – ein Quantensprung in der Solarenergie. Der entscheidende Vorteil dieser Technologie: Die aktiven Materialien können in dünnen Schichten und bei niedrigen Temperaturen auf flexible Substrate aufgebracht werden, was vollkommen neue Anwendungsfelder erschließt.

Diese technologische Evolution spiegelt sich auch in der Praxis wider: Heute beträgt der Anteil der Photovoltaik am deutschen Stromverbrauch bereits über 10 Prozent. Für 2030 ist ein Anteil von 20 Prozent durchaus realistisch, insbesondere angesichts der kontinuierlich fallenden Preise und steigenden Effizienz der Module.

Windkraft: Offshore-Technologie und Repowering älterer Anlagen

Die Windenergie hat sich von bescheidenen Anfängen mit 500-Kilowatt-Anlagen zu einem Schlüsselelement der Energiewende entwickelt. Moderne Onshore-Windturbinen erreichen heute Leistungen von 5 bis 6 Megawatt mit Nabenhöhen von über 160 Metern und Rotordurchmessern von mehr als 150 Metern. Diese Dimensionen ermöglichen eine deutlich effizientere Nutzung der Windressourcen und erhöhen die Volllaststunden signifikant – selbst an Standorten mit moderaten Windverhältnissen.

Besonders dynamisch entwickelt sich die Offshore-Windenergie. In der Nordsee stehen bereits Windparks mit Einzelanlagen von bis zu 15 Megawatt Leistung. Die Offshore-Technologie profitiert von konstant höheren Windgeschwindigkeiten auf See, was zu Volllaststunden von 4.000 bis 5.000 Stunden pro Jahr führt – deutlich mehr als die 2.000 bis 3.000 Stunden bei Onshore-Anlagen. Die Herausforderungen liegen hier vor allem in der komplexen Installation und Wartung sowie der Netzanbindung über lange Distanzen.

Eine weitere wichtige Entwicklung ist das Repowering älterer Windparks. Dabei werden bestehende, kleinere Anlagen durch leistungsstärkere moderne Turbinen ersetzt. Ein typisches Beispiel: Ein Windpark aus zehn 1-Megawatt-Anlagen kann durch drei moderne 5-Megawatt-Turbinen ersetzt werden – mit dem Ergebnis einer höheren Gesamtleistung bei gleichzeitig reduzierter optischer Beeinträchtigung der Landschaft. Diese Strategie wird in den kommenden Jahren zunehmend relevant, da viele der frühen EEG-geförderten Anlagen das Ende ihrer Betriebszeit erreichen.

Biomasse: Nachhaltiger Anbau versus Flächenkonkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion

Biomasse nimmt eine Sonderstellung unter den erneuerbaren Energien ein, da sie die einzige steuerbare erneuerbare Energiequelle darstellt, die unabhängig von Wetter- und Tageszeit verfügbar ist. Biogasanlagen können bedarfsgerecht Strom erzeugen und tragen so zur Stabilisierung des Stromnetzes bei. In Deutschland sind derzeit etwa 9.500 Biogasanlagen in Betrieb, die rund 5 Prozent des deutschen Strombedarfs decken.

Allerdings steht die Biomasse vor einem grundlegenden Dilemma: Die Flächenkonkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion. Die Devise "Teller oder Tank" beschreibt den Konflikt zwischen der Nutzung landwirtschaftlicher Flächen für die Energiegewinnung oder die Lebensmittelproduktion. Ein nachhaltiger Ansatz fokussiert daher zunehmend auf Rest- und Abfallstoffe wie Gülle, Stroh, Restholz und biologische Abfälle, die ohne Nutzungskonkurrenz zur Verfügung stehen.

Die zukünftige Rolle der Biomasse liegt nicht in der Massenproduktion von Energie, sondern in der gezielten Bereitstellung von Regelenergie und der Nutzung von Abfallstoffen – ein perfektes Beispiel für Kreislaufwirtschaft im Energiesektor.

Innovative Konzepte wie die Kaskadennutzung gewinnen zunehmend an Bedeutung. Hierbei wird Biomasse zunächst stofflich genutzt (z.B. als Bauholz) und erst am Ende ihres Lebenszyklus energetisch verwertet. Diese mehrstufige Nutzung maximiert den Gesamtnutzen der Ressource und minimiert negative Umweltauswirkungen.

Wasserstoff: Elektrolyse-Verfahren und Integration ins Energiesystem

Wasserstoff wird als Schlüsselelement für die vollständige Dekarbonisierung des Energiesystems betrachtet – insbesondere für Bereiche, die sich nur schwer direkt elektrifizieren lassen, wie Teile der Industrie und des Schwerlastverkehrs. Drei Elektrolyse-Verfahren stehen dabei im Mittelpunkt: die alkalische Elektrolyse (AEL), die Polymer-Elektrolyt-Membran-Elektrolyse (PEM) und die Hochtemperatur-Elektrolyse (SOEC).

Die alkalische Elektrolyse ist die ausgereifteste und kostengünstigste Technologie, die jedoch relativ träge auf schwankende Stromangebote reagiert. Die PEM-Elektrolyse bietet hohe Flexibilität und Dynamik, eignet sich daher besonders gut für die Kopplung mit fluktuierenden erneuerbaren Energien, ist jedoch aktuell noch teurer. Die Hochtemperatur-Elektrolyse befindet sich noch im Entwicklungsstadium, verspricht aber die höchsten Wirkungsgrade.

Für einige Bereiche der Industrie und auch im Verkehr wird zukünftig grüner Wasserstoff unerlässlich sein. Seine Herstellung erfordert allerdings große Mengen an erneuerbarem Strom. Ein Kilogramm Wasserstoff benötigt etwa 50-55 kWh Strom – energetisch betrachtet ein erheblicher Aufwand. Daher wird die direkte Stromnutzung aus Effizienzgründen überall dort bevorzugt, wo sie technisch möglich ist.

Die Integration von Wasserstoff ins Energiesystem erfolgt über verschiedene Wege: Neben der direkten Nutzung in Brennstoffzellen und industriellen Prozessen kann Wasserstoff mit CO₂ zu synthetischem Methan ( CH₄ ) weiterverarbeitet werden. Dieses lässt sich im bestehenden Erdgasnetz speichern und transportieren – ein bedeutender Vorteil für die Sektorkopplung und langfristige Energiespeicherung.

Geothermie: Tiefengeothermie und hydrothermale Systeme in Deutschland

Die Geothermie zählt zu den am wenigsten beachteten erneuerbaren Energiequellen, obwohl sie ein enormes Potenzial bietet: Sie ist grundlastfähig, standortunabhängig und nahezu emissionsfrei. In Deutschland unterscheidet man zwischen oberflächennaher Geothermie (bis 400 Meter Tiefe) für Heiz- und Kühlzwecke sowie Tiefengeothermie für die Strom- und Wärmegewinnung.

Bei der Tiefengeothermie werden hydrothermale Systeme genutzt, bei denen natürliche Thermalwässer aus Tiefen von 2.000 bis 5.000 Metern gefördert werden. Die Temperatur dieser Wässer liegt zwischen 80 und 130 Grad Celsius, was sie ideal für Fernwärmenetze und bei höheren Temperaturen auch für die Stromerzeugung macht. Vor allem im süddeutschen Molassebecken finden sich günstige geologische Bedingungen für diese Technologie.

Petrothermale Systeme (Enhanced Geothermal Systems, EGS) stellen eine Weiterentwicklung dar: Hier werden künstlich Risse im heißen Tiefengestein erzeugt, durch die dann Wasser zirkulieren kann. Diese Technologie könnte die Geothermie theoretisch an fast jedem Standort nutzbar machen, befindet sich jedoch noch in der Entwicklungsphase und ist mit höheren Kosten und technischen Herausforderungen verbunden.

Ein bemerkenswertes Beispiel ist das Geothermiekraftwerk in Unterhaching bei München, das seit 2009 sowohl Strom erzeugt als auch ein lokales Fernwärmenetz speist. Mit einer installierten elektrischen Leistung von 3,36 Megawatt und einer thermischen Leistung von 38 Megawatt demonstriert es das Potenzial der Geothermie für die kommunale Energieversorgung.

Wirtschaftliche Transformation durch die Energiewende

Die Energiewende katalysiert eine umfassende wirtschaftliche Transformation, die weit über den Energiesektor hinausreicht. Sie schafft neue Märkte, verändert Geschäftsmodelle und beeinflusst industrielle Prozesse in nahezu allen Branchen. Diese Transformation bietet erhebliche wirtschaftliche Chancen: Allein in Deutschland arbeiten bereits rund 400.000 Menschen in der Branche der Erneuerbaren – Tendenz steigend.

Besonders bemerkenswert ist die Rolle kleiner und mittelständischer Unternehmen (KMU) in diesem Prozess. Von der Landwirtin mit einer Biogasanlage über lokale Windpark-Betreibergesellschaften bis hin zu spezialisierten Dienstleistern und Installateuren – die Energiewende in Deutschland wird maßgeblich von mittelständischen Strukturen getragen. Diese Akteursvielfalt stärkt regionale Wirtschaftskreisläufe und fördert technologische Innovation von unten.

Gleichzeitig entwickelt sich die Verfügbarkeit Erneuerbarer Energien zu einem zentralen Standortfaktor für die Industrie. Unternehmen benötigen zunehmend nachhaltigen Strom, Wärme und grüne Moleküle wie Wasserstoff, um ihre eigenen Defossilisierungsziele zu erreichen. Dies spiegelt sich in der wachsenden Zahl von Power Purchase Agreements (PP

As) – langfristigen Stromlieferverträgen wider, die nicht nur wirtschaftliche Planungssicherheit bieten, sondern auch die Klimabilanz der Unternehmen verbessern.

Stromgestehungskosten: Preisverfall bei Solar- und Windkraft seit 2010

Die ökonomische Landschaft der Energieerzeugung hat sich in den vergangenen zehn Jahren fundamental gewandelt. Die Stromgestehungskosten (Levelized Cost of Energy, LCOE) für Solar- und Windenergie sind seit 2010 drastisch gesunken. Photovoltaik verzeichnete dabei den dramatischsten Preisverfall: Die Kosten pro Megawattstunde sind von etwa 300-400 Euro im Jahr 2010 auf heute 40-60 Euro gesunken – eine Reduktion um rund 85 Prozent innerhalb einer Dekade.

Bei der Windenergie verlief die Kostendegression etwas moderater, aber dennoch beeindruckend. Onshore-Windkraft kostet heute mit 50-80 Euro pro Megawattstunde nur noch etwa die Hälfte im Vergleich zu 2010. Offshore-Windenergie hat sich von anfänglich 180-200 Euro pro Megawattstunde auf nun 80-100 Euro reduziert, wobei erste Projekte bereits Stromgestehungskosten unter 50 Euro/MWh erreichen.

Besonders bemerkenswert ist, dass erneuerbare Energien heute in den meisten Märkten der Welt die günstigste Form der Stromerzeugung darstellen – und das ohne Subventionen. Der Kostenvorteil gegenüber neuen konventionellen Kraftwerken liegt mittlerweile bei 30-70 Prozent. Diese wirtschaftliche Realität hat dazu geführt, dass selbst ohne politische Vorgaben der Zubau erneuerbarer Energien rein aus ökonomischen Gründen vorangetrieben wird.

Erneuerbare Energien haben die Wirtschaftlichkeitsschwelle nicht nur erreicht, sondern deutlich überschritten. Sie sind heute keine kostspielige Klimaschutzmaßnahme mehr, sondern die wirtschaftlichste Option für neue Stromerzeugungskapazitäten.

Treiber dieser beeindruckenden Kostendegression sind Skaleneffekte in der Produktion, technologische Innovationen, Effizienzsteigerungen und zunehmender Wettbewerb. Die Lernkurve der Solarenergie folgt dabei einem bemerkenswerten Muster: Mit jeder Verdopplung der global installierten Kapazität sinken die Kosten um etwa 20-25 Prozent – ein Phänomen, das als "Swanson's Law" bekannt ist, analog zum "Moore's Law" in der Halbleiterindustrie.

Investitionsvolumen und Arbeitsplätze im EEG-Sektor

Die wirtschaftliche Bedeutung der erneuerbaren Energien für den deutschen Arbeitsmarkt und die Wertschöpfung ist beachtlich. Im Jahr 2023 wurden in Deutschland etwa 31 Milliarden Euro in neue Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien investiert. Diese Investitionen generieren nicht nur direkte Arbeitsplätze bei Herstellern und Installateuren, sondern schaffen auch indirekte Beschäftigung in Zulieferbetrieben und komplementären Dienstleistungen.

Trotz des Strukturwandels im Bereich der Photovoltaik-Herstellung, die inzwischen überwiegend in Asien stattfindet, bleibt Deutschland ein wichtiger Standort für Spezialequipment, Wechselrichter und integrierte Systemlösungen. Insbesondere in den Bereichen Anlagenplanung, Installation, Wartung und Betrieb sind zehntausende Fachkräfte beschäftigt – Tätigkeiten, die nicht verlagert werden können und lokale Wertschöpfungsketten stärken.

Die regionale Verteilung der erneuerbaren Energien trägt zudem zur wirtschaftlichen Stärkung strukturschwacher ländlicher Räume bei. Über Gewerbesteuereinnahmen oder direkte finanzielle Beteiligungen fließen erhebliche Summen in die kommunalen Kassen. In einigen Landkreisen sind Einnahmen für Kommunen und regionale Unternehmen in Milliardenhöhe möglich, wie eine Studie für den niedersächsischen Landkreis Rotenburg (Wümme) zeigt. Diese Mittel schaffen Spielräume für Investitionen in lokale Infrastruktur und öffentliche Daseinsvorsorge.

Besonders bemerkenswert ist die Struktur der Eigentümerschaft: Über 40 Prozent der installierten Leistung erneuerbarer Energien in Deutschland befinden sich in der Hand von Privatpersonen, Landwirten und Bürgerenergiegenossenschaften. Diese breite Streuung der Eigentumsverhältnisse fördert nicht nur die gesellschaftliche Akzeptanz der Energiewende, sondern ermöglicht auch eine demokratische Teilhabe an der Wertschöpfung – ein einzigartiges Merkmal des deutschen Energiewendemodells.

Sektorenkopplung: Integration von Strom, Wärme und Mobilität

Die Energiewende beschränkt sich längst nicht mehr auf den Stromsektor allein. Unter dem Stichwort "Sektorenkopplung" wird die zunehmende Verzahnung der Energiesektoren Strom, Wärme und Mobilität verstanden. Diese Integration ist entscheidend, um die Klimaziele in allen Bereichen der Wirtschaft zu erreichen und die fluktuierende Erzeugung erneuerbarer Energien optimal zu nutzen.

Ein Schlüsselelement dieser Kopplung ist die Elektrifizierung des Wärmesektors durch Wärmepumpen. Diese Technologie ermöglicht es, mit einer Kilowattstunde Strom drei bis fünf Kilowattstunden Wärme zu erzeugen, indem Umgebungswärme genutzt wird. Bei einem steigenden Anteil erneuerbaren Stroms führt dies zu einer signifikanten Reduktion der CO₂-Emissionen im Gebäudesektor, der für etwa 30 Prozent des deutschen Endenergieverbrauchs verantwortlich ist.

Im Verkehrssektor spielt die Elektromobilität eine entscheidende Rolle. Elektrofahrzeuge können als mobile Speicher fungieren und durch intelligentes Lademanagement zur Netzstabilität beitragen. Das Konzept des bidirektionalen Ladens (Vehicle-to-Grid, V2G) ermöglicht es, überschüssigen Strom in den Batterien zu speichern und bei Bedarf wieder ins Netz einzuspeisen. Bei einer prognostizierten Flotte von 15 Millionen Elektrofahrzeugen in Deutschland bis 2030 entsteht so ein dezentrales Speichersystem mit einer Kapazität von über 750 Gigawattstunden – ein beachtliches Flexibilitätspotenzial für das Stromnetz.

In der Industrie eröffnet die Sektorenkopplung neue Möglichkeiten für Prozesswärme und die chemische Nutzung erneuerbaren Stroms. Power-to-Heat-Anwendungen, wie elektrische Dampferzeuger oder Hochtemperatur-Wärmepumpen, können fossile Brennstoffe in industriellen Prozessen ersetzen. Gleichzeitig ermöglicht Power-to-Gas die Umwandlung von überschüssigem Strom in Wasserstoff oder synthetisches Methan, das in der chemischen Industrie als Grundstoff dienen kann.

Energiespeicherlösungen: Batterietechnologien, Power-to-X und Pumpspeicherkraftwerke

Die Integration hoher Anteile erneuerbarer Energien erfordert effiziente Speicherlösungen, um die naturgegebenen Schwankungen von Wind- und Solarenergie auszugleichen. Batteriespeicher haben in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Entwicklung durchlaufen. Die Kosten für Lithium-Ionen-Batterien sind seit 2010 um mehr als 90 Prozent gefallen, während sich die Energiedichte verdoppelt hat. Großskalige Batteriespeicher mit Kapazitäten im Megawattstundenbereich übernehmen bereits heute wichtige Aufgaben bei der Netzstabilisierung.

Power-to-X-Technologien eröffnen neue Möglichkeiten der langfristigen Energiespeicherung. Durch die Umwandlung von überschüssigem Strom in Wasserstoff oder synthetisches Methan können große Energiemengen über Wochen und Monate gespeichert werden. Das bestehende Erdgasnetz mit seinen Speicherkapazitäten von über 200 Terawattstunden bietet hierfür eine ideale Infrastruktur. Diese saisonale Speicherung ist besonders wichtig, um die geringere Solarstromerzeugung im Winter auszugleichen.

Pumpspeicherkraftwerke bleiben mit einem Wirkungsgrad von bis zu 80 Prozent die effizienteste Form der Stromspeicherung. Deutschland verfügt über eine installierte Pumpspeicherleistung von etwa 6,5 Gigawatt. Ihr Ausbaupotenzial ist aufgrund topographischer und ökologischer Einschränkungen jedoch begrenzt. Innovative Konzepte wie unterirdische Pumpspeicherwerke in ehemaligen Bergwerken könnten neue Kapazitäten erschließen.

Globale Klimaziele und nationale Energiestrategien

Die Pariser Klimaziele erfordern eine vollständige Dekarbonisierung des globalen Energiesystems bis 2050. Deutschland hat sich mit dem Klimaschutzgesetz verpflichtet, bis 2045 klimaneutral zu werden. Der Ausbau erneuerbarer Energien ist dabei der zentrale Hebel: Bis 2030 sollen mindestens 80 Prozent des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden, bis 2045 die gesamte Energieversorgung.

Zahlreiche Länder haben ähnlich ambitionierte Ziele formuliert. China, der weltweit größte CO₂-Emittent, plant bis 2060 klimaneutral zu werden und investiert massiv in Wind- und Solarenergie. Die USA streben unter der Biden-Administration bis 2035 einen CO₂-freien Stromsektor an. Diese globalen Bestrebungen schaffen einen dynamischen Markt für erneuerbare Technologien und treiben Innovationen voran.

Dezentrale Energieversorgung und Demokratisierung des Energiesektors

Die Energiewende führt zu einer fundamentalen Transformation der Versorgungsstrukturen: Weg von wenigen großen Kraftwerken, hin zu vielen dezentralen Erzeugungseinheiten. Diese Dezentralisierung ermöglicht neue Formen der Bürgerbeteiligung und lokalen Wertschöpfung. Energiegenossenschaften, Bürgerwindparks und private Photovoltaikanlagen demokratisieren den Energiesektor und stärken die regionale Wirtschaft.

Digitale Technologien wie Smart Grids und virtuelle Kraftwerke ermöglichen die effiziente Steuerung dieser dezentralen Strukturen. Blockchain-basierte Energiehandelsplattformen könnten zukünftig den direkten Stromhandel zwischen Prosumern ermöglichen. Diese Demokratisierung der Energieversorgung fördert die Akzeptanz der Energiewende und mobilisiert private Investitionen.

Technische Herausforderungen beim Netzausbau und der Systemintegration

Der massive Ausbau erneuerbarer Energien stellt das Stromnetz vor erhebliche Herausforderungen. Die großen Windparks im Norden müssen mit den Verbrauchszentren im Süden verbunden werden. Der Netzausbau, insbesondere der Höchstspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ), ist dabei ein kritischer Erfolgsfaktor. Verzögerungen beim Ausbau der großen Nord-Süd-Trassen haben bereits zu erheblichen Mehrkosten durch Redispatch-Maßnahmen geführt.

Die Systemintegration hoher Anteile fluktuierender erneuerbarer Energien erfordert neue technische Lösungen. Moderne Wechselrichter können heute Systemdienstleistungen wie Spannungs- und Frequenzhaltung übernehmen, die früher konventionellen Kraftwerken vorbehalten waren. Künstliche Intelligenz und Big Data spielen eine zunehmend wichtige Rolle bei der Prognose der erneuerbaren Erzeugung und der Optimierung des Netzbetriebs.

Die technischen Herausforderungen der Energiewende sind lösbar. Entscheidend ist, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien, der Netze und der Speicherinfrastruktur synchron erfolgt und durch einen intelligenten regulatorischen Rahmen unterstützt wird.